
Erlangen/Bamberg Seit seiner Jugendzeit ist Gerhard Klarmann von Kunst und Malerei fasziniert. Mit Anni Weber traf er sich in einem Erlanger Café zum Interview. Dort erklärte er, was es mit den Fresken von Michelangelo auf sich hat und sprach über das Geheimnis der nicht sichtbaren Realität. Und wir erfahren, was Hingabe und Besessenheit mit Chaos und Ordnung zu tun haben.
Herr Klarmann, wie lange malen Sie schon?
Seit etwa vier Jahrzehnten!
Wie hat sich Ihre Malerei im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Vom Abzeichnen einfacher Figuren bis hin zur abstrakten Bildgestaltung!
Wo finden Sie Ihre Ideen? Woher kommen Ihre Motive?
Das ist ganz unterschiedlich. Aus dem Alltag, aus Erlebtem – Situationen, Stimmungen, Eindrücke, die mich beschäftigen.
Was möchten Sie mit Ihren Bildern vermitteln? Arbeiten Sie zum Beispiel eine bestimmte Thematik heraus?
Ich denke, ein Künstler möchte immer eine bestimmte Auffassung von etwas zum Ausdruck bringen. Dabei hat dann jedes Bild seinen eigenen Charakter, eine Aussage, eine Bedeutung. Meistens sind es Themen, die mich selbst bewegen oder in Anspruch nehmen.
Themen, die auch andere Menschen oder die Gesellschaft beschäftigen?
Das kann durchaus sein. Niemand lebt für sich allein, jeder ist auch Teil der Gesellschaft. Da liegt es also nahe, dass ein Thema, welches mich ergreift, auch andere Menschen bewegt.
Kann Kunst Unsichtbares sichtbar machen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Kunst im Allgemeinen und die Malerei im Speziellen tatsächlich vieles sichtbar machen kann, was unausgesprochen im Raum schwebt. Es ist nicht immer leicht, für alles und jedes die richtigen Worte, die richtige Sprache zu finden. Kunst kann hier vermitteln, kann gewissermaßen eine Art Anstoßgeber und Dolmetscher sein.
Eine Art Impuls?
Stellen Sie sich vor, jemand geht in eine Ausstellung und sieht sich die Bilder an. Oft weiß er gar nicht, auf welche Bilder er treffen wird – er kennt vielleicht nur das Titelbild vom Plakat. Plötzlich wird er mit Eindrücken konfrontiert, auf die er nicht gefasst war. Manche Bilder werden vielleicht auch nur im Vorübergehen wahrgenommen, bei einigen aber wird er sich unweigerlich die Frage stellen, was das denn sein soll. Das ist wohl ein erster Anstoß.
Ein Anstoß zum Nachdenken?
Möglicherweise passiert da vorher noch etwas. Ich könnte mir vorstellen, dass die erste Reaktion vielleicht nicht Nachdenken ist, sondern dass sich zuerst eine Gefühlsregung einstellt. Das Nachdenken kommt eventuell erst danach. Nicht zu vergessen die Fantasie.
Können Sie das näher erklären?
Nachdenken und Fantasie gehören auf eine bestimmte Art und Weise zusammen. Zum Beispiel wird es ohne Fantasie wohl sehr schwer sein, ein bestimmtes Problem zu lösen. Fantasie und Nachdenken sind sozusagen Geschwister. Wenn ich mein Denken in eine andere Richtung lenken will – oder muss, dann brauche ich Fantasie.
Möchten Sie die Fantasie Ihrer Betrachter anregen?
Das ist meine Absicht. Fantasie ist eine kreative Fähigkeit, die angeregt sein will. In der Fantasie liegt übrigens auch sehr viel mehr Freiheit als im realen Leben. Deshalb auch meine Hinwendung zum Abstrakten.
Provozieren abstrakte Bilder eher?
Mit abstrakten Motiven bilde ich keine sichtbare Realität ab. Das kann sicherlich irritierend sein. Der Betrachter trifft sozusagen auf etwas Unvorhersehbares. Damit hat er nicht gerechnet. Provokation wäre sicher ein Motiv des abstrakten Malens, um den Betrachter aufmerksam zu machen.
Und wird dann vielleicht im ersten Moment entsprechend reagieren. Welche Reaktionen der Betrachter haben Sie schon erlebt?
Ein Klassiker ist: „Das sind schöne Bilder“ – oder „nett“!
Schmeichelt Ihnen das?
Das wird dann eher aus Höflichkeit gesagt. Es ist eine Rückmeldung, die auf den persönlichen Aspekt des Betrachters verzichtet. Persönlicher wäre zum Beispiel die Aussage: „Ich finde dieses oder jenes Bild schön.“ Die Betonung liegt auf „ich“. Für einen anderen Betrachter können die Bilder nämlich nicht schön sein. Dann würde ruckzuck ein Konflikt über die Frage entstehen, ob die Bilder schön sind oder nicht. Doch darum geht es doch gar nicht. Sie können für den einen „schön“ sein, für den anderen nichtssagend oder uninteressant. Beides ist möglich – und im Grunde kein Anlass für einen Konflikt zwischen den Betrachtern.
Haben Sie auch negative Rückmeldungen erfahren?
Ein älterer Herr fragte mich mal, ob ich schon einmal in Rom gewesen sei. Nein, antwortete ich verdutzt. Ich müsste aber dort unbedingt hin, und zwar in die Sixtinische Kapelle, die Fresken von Michelangelo anschauen. Das ist wahre Kunst, daran sollte ich mir ein Beispiel nehmen. Um sicher zu gehen, legte er mir diesen Rat beim Hinausgehen noch ein zweites Mal eindringlich nahe.
Welche Rolle spielen für einen Künstler andere Künstler?
Ich erfreue mich an der Kunst anderer und besuche oft Museen und Gemäldeausstellungen. Ich möchte wissen, was andere bewegt und wie sie das umsetzen. Vielleicht beeinflussen mich auch die Werke anderer unbewusst.
Woran orientieren Sie sich, wenn Sie ein neues Bild malen?
Für mich ist es von immenser Wichtigkeit, zu experimentieren, zu verwerfen, neu zu formieren und zu spielen. Ich denke, Kunst lebt vom Sich-immer-wieder-neu-Erfinden, vom Mut zum noch nie Dagewesenen. Nicht zu vergessen ist natürlich eine große Leidenschaft, die ich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entwickelt habe. Ich habe den unbändigen Drang, etwas Neues und Eigenes zu schaffen.
Wie sieht dieser Drang aus?
Dieser Drang ist wie der Harndrang (lacht). Wenn man muss, dann kann man es nicht aufhalten. Hingabe und Besessenheit im positiven Sinne gehören dazu. Ich nehme etwas wahr und möchte die Wahrnehmung gestalten, formen, ausdrücken, mitten im Prozess des Malens einen neuen Weg einschlagen, Chaos oder Ordnung schaffen. Dabei spielen gespeicherte Erlebnisse, Eindrücke, Ängste und Freude eine große Rolle. Sie sind für mich fest verankerte Pfeiler im Schaffensprozess um ein neu entstehendes Kunstwerk. Zur Kunst gehört für mich einfach, malen zu müssen, das kommt dann ganz aus dem Innersten. Okt. 2014